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Fachwissen über Musik und Informatik

Warum Software mit einer musikalischen Komposition nicht vergleichbar ist

- oder -

Warum die Blüte eines Apfelbaumes nicht mit der Frucht des Birnenbaumes vergleichbar ist

Derzeitig verläuft zwischen unterschiedlichen Interessensgruppen eine Diskussion um das Thema Urheberrecht in der digitalen Welt. Einige Interessensgruppen wollen es verändern, andere ganz und gar abschaffen und wiederum andere wollen ein strengeres Urheberrecht. In einem "Offenen Brief von 51 Tatort-Autoren" bekräftigen Autoren der Fernsehserie Tatort, dass das Urheberrecht gestärkt werden müsse. Daraufhin kontert der Chaos Computer Club (CCC) mit einer "Antwort auf den offenen Brief der Tatort-Drehbuchschreiber" und erklärt, dass das Urheberrecht in seiner jetzigen Form veraltet ist.

Die Mitglieder des CCC verstehen sich ebenfalls als Urheber, vor allem von Software. Da ich selbst Musik und Informatik studiert habe, denke ich beurteilen zu können, dass die Urheberschaft von Software kaum mit der von Musik zu vergleichen ist.

 

Die Parallelen

Schauen wir uns einmal die Softwarewelt an. Ein Programmierer schreibt einen Programmcode. Bevor er den Programmcode weitergibt, kann er diesen ggf. kompilieren und dem interessierten Nutzer als Software zur Verfügung stellen.

In der Welt der Musik schafft der Komponist aus Noten eine Komposition. Nach der Veröffentlichung der Komposition kann jeder Mensch diese Komposition nehmen und bspw. auf einem Instrument nachspielen. Auch Interpreten, wie Sänger oder Musikbands nehmen sich die Komposition, spielen diese Komposition ein und veröffentlichen eine Aufnahme in Form einer Musik-CD oder MP3. Erst nach diesem Schritt kauft sich der Musikinteressierte die aufgenommene Musik, dessen Grundlage die Komposition darstellt.

Ich fasse die einzelnen Parallelen zusammen:

Welt der Informatik Welt der Musik
Programmierer Komponist
Programmcode (Software) Musiknoten
Kompilieren Interpretieren
Software (bestehend aus Programmcode) von Interpreten eingespielte Musiknoten in Form einer MP3 oder Audio-CD
Softwarenutzer Musiknutzer (in der Regel kein Musiknotennutzer)

Die Unterschiede

Programmcode / Musiknoten

Ein Programmierer hat zuerst die Wahl, welche Programmiersprache er nutzen möchte. Möchte er seine Algorithmen schützen oder die Codeanpassung durch andere verhindern, wird er eher eine Programmiersprache wählen, die in Maschinencode umgewandelt werden kann. Alternativ kann er aber auch quelloffenen Code so kompliziert schreiben, dass Programmierer, die den Programmcode ändern wollen, einen immensen Aufwand betreiben müssen, um diesen zu verstehen. Ebenfalls kann der Programmierer entscheiden, ob seine Software nur in Verbindung mit einer Hardware, wie bspw. einem Dongle, oder einer permanenten Internetverbindung funktioniert. Der Programmierer hat also die Wahl, in wieweit er seine Schöpfungshöhe als Urheber schützen möchte, wobei das Resultat - die Software - immer gleich bleibt.

Ein Komponist schreibt seine Komposition üblicherweise mit Musiknoten. Das ist für den Komponisten sozusagen die einzige offizielle Programmiersprache, die ihm zur Verfügung steht. Natürlich kann auch ein Komponist sein Musikwerk in Neumen oder als Tabulatur schreiben, aber schützen kann er die Komposition nicht. Weder ist eine Kompilierung möglich, noch kann er die Komposition komplizierter schreiben, da dies den musikalischen Inhalt der Komposition ändern würde. Ebenfalls hat der Komponist keine Wahl seine Musiknoten in einen menschenunlesbaren "Code" zu überführen, da dieser "Code" von keinem mehr benutzbar wäre. Auch ein Schutz durch einen Dongle oder ähnliche Hardware ist bei einer Komposition nicht möglich.

Änderungen und Anpassungen am Programmcode / an Musiknoten

Entscheidet der Programmierer, dass er neue Features in die bestehende Software einbaut, dann kann er die Software als ein Update/Upgrade zu einem bestimmten Preis anbieten. Möchte der Softwarenutzer die neuen Features haben, kann dieser entscheiden, ob er dafür Geld bezahlen möchte.

Der Vergleich bei einer Komposition ist hier schwierig. Ob ein Musikhörer weiteres Geld bezahlen würde, wenn der Komponist eine neue Bridge gegen die alte Bridge tauscht, wenn er ein instrumentales Vorspiel zum Musikwerk hinzukomponiert oder wenn er einen weiteren Kontrapunkt zur bestehenden Melodie aussetzt? Das würden vermutlich nur Fans dieser Komposition bzw. des Komponisten kaufen. Aber Fans, vor allem in der Unterhaltungsmusik, sind in erster Linie Fan eines Interpreten und nicht eines Komponisten.

Zur Verdeutlichung: Die Software kann durch weitere Features ergänzt werden, um diese neu verkaufen zu können. Eine Komposition wird nicht mehr um weitere "Features" ergänzt. In der Regel sind es Interpreten, die entscheiden, ob sie eine neue Version einer bestehenden Komposition herausbringen. Die Komposition bleibt im Wesen aber immer gleich.

Software als Bedarf - Musik für den Fan

Eine Software kauft man meist, weil man einen Bedarf daran hat. So löst eine Software bspw. bestimmte Problemstellungen des Softwarenutzers.
Eine Musik kauft man, weil man Fan oder Musikinteressierter eines Interpreten ist. Von einer "Katy Perry" kann man Fan sein, aber die Komponisten, die ihre Songs mitschreiben, kennt fast keiner: Christopher Stewart, Mikkel Eriksen, Monte Neuble.

Aus Programmcode wird eine Software - Aus einer Komposition wird eine Musikaufnahme

Für den Softwarenutzer ist ein Stück Programmcode noch nicht sehr viel. Er muss diesen mitunter kompilieren, installieren und konfigurieren. Geht man von den Quelldateien einer Software aus, so kann der Softwarenutzer selbst entscheiden, ob er die Software unter Windows, Mac oder Linux zum Laufen bekommen möchte. Kompiliert der Programmierer den Programmcode, so kann er selbst entscheiden, auf welchem System seine Software laufen soll. Ein Programmierer kann somit selbst entscheiden, wie weit er seine Software für Nutzer öffnet und kann auch selbst entscheiden, für welche Computersysteme er seine Software freigibt.
Ein Komponist kann nicht entscheiden, ob seine veröffentlichte Komposition nur von "dieser einen Sängerin" oder nur von "diesem einen Gitarristen" gespielt werden darf. Die "Kompilierung" der Komposition findet demnach entweder beim Musiknutzer selbst statt, z.B. durch das Spielen der Musiknoten des Komponisten, oder - und dies ist die Regel - im Tonstudio als Musikaufnahme. Ab diesem Moment ist jedoch die Musikaufnahme durch alle Audioabspielgeräte nutzbar. Es kann weder eine Einschränkung für bestimmte Computersysteme erfolgen, noch kann ich als Komponist entscheiden, wie weit ich meine Komposition für Nutzer öffne.

Schutz von Software / Schutz von Musik

Eine eingespielte Komposition in Form einer Musik kann in der Regel schneller und einfacher kopiert werden als eine Software. Musik wird durch Aufnahme oder durch überspielen aus dem Radio, der Audio-CD, oder der MP3 kopiert. Ein Komponist kann sich nur vor Kopien seiner Komposition schützen, indem er sein Musikwerk nicht veröffentlicht. Sobald seine Musiknoten veröffentlicht sind, kann ein einfacher Münzkopierer beliebig viele Kopien erstellen.
Für das Kopieren einer Software ist mehr als nur zeitgenössisches Allgemeinwissen gefragt. Entweder ist eine (installierte) Software so sehr mit dem Betriebssystem verankert, dass ein 1:1 Kopieren der Software nicht ausreicht oder diverse Autorisierungsmechanismen, eineindeutige Seriennummern, Zwangsregistrierungen und Dongles unterbinden ein Kopieren bzw. Nutzen der Software. Somit stehen dem Programmierer diverse Mechanismen zur Verfügung, um seinen Programmcode zu schützen. Und selbst mit den eingebauten Schutzmechanismen kann er noch die Software verkaufen.

Fazit

Ein Vergleich zwischen "Software" und "Musik" ist nur sehr differenziert möglich. Während ein Programmierer seinen Programmcode in Form von Software direkt vertreiben kann, wird sich der Musikliebhaber selten dazu bereit erklären, nur Musiknoten zu kaufen. Fast immer ist ein weiterer Schritt notwendig, in dem sich ein Interpret der Komposition annimmt, diese entsprechend einspielt und die daraus erstellte Musikaufnahme veröffentlicht. Diese ist für fast alle Musiknutzer interessanter als Musiknoten.

Soll dennoch ein direkter Vergleich zwischen "Software" und "Musik" erfolgen, dann dürfte es vom heutigen Tag an nur noch Musiknoten in den Plattenläden zu kaufen geben. Der Musiknutzer würde sich die "nicht kompilierten" Musiknoten nehmen und könnte entscheiden, ob er die Noten heute lieber "singt" oder auf einem "Musikinstrument spielt". Dies würde uns in eine Situation noch vor der Erfindung von Edison´s Wachswalze zur Reproduktion von Musik befördern.

Und hier noch ein kleiner Gedankenanstoß, wieso es sinnvoll ist das Urheberrecht für bspw. Musikwerke auf 70 Jahre zu belassen: Eine Software veraltet sehr schnell, eine gute Musik wird auch noch nach vielen Jahrzehnten gehört.

Quelle: